WORKSHOP 3 „…Menschen, die keiner will!“ Welche Wohn- und Lebensformen können für Menschen mit ausgeprägten Verhaltensauffälligkeiten (Selbst- und Fremdgefährdung) und geistiger Behinderung sinnvoll und lebenswert entwickelt werden? Wie wohnen und leben diese Menschen jetzt und welche Perspektiven können vor Ort schon geboten werden? Folgende Punkte wurden (an-)diskutiert: •Schutz der Freiheit versus Selbst- und Fremdgefährdung •Spannungsfeld zwischen LEVO- Leistungen und Bedarf (Sonderregelungen, mehr Personal, Setting, Umfeld, ehrenamtliche MitarbeiterInnen) •Wie findet man heraus, was die/der KlientIn /KundIn will/braucht? Wie wird das umgesetzt? ( Frage der Finanzierung?) •Wo sind diese Menschen jetzt? Warum stellt sich das Problem? Liegt es am Geld oder am Konzept? Welche Konzepte gibt es? Welche Visionen gibt es? Das erste Thema, das diskutiert wurde, war die Frage nach den freiheitsbeschränkenden Maßnahmen. Diese sind durch das Heimaufenthaltsgesetz geregelt. Der Schutz der Freiheit ist ein Grundrecht. Hier stellt sich die Frage, was man bei Fremd- und Selbstgefährdung tun darf und was nicht. Entscheidend ist hier die Frage nach Zulässigkeit und Unzulässigkeit, nicht die Frage nach Gut und Böse. Die Frage wurde aufgeworfen, ob eine bestimmte Leistung mehr Personal rechtfertige oder nicht. Kommt es dann zu einer geringeren Freiheitseinschränkung? Wichtig hierbei sind die Klärung der Struktur und des Settings sowie die Frage der Finanzierbarkeit. Wenn es zum Beispiel für eine Person ein Setting mit einem wachenden Nachtdienst erfordert, so ist das in der Finanzierung normal nicht vorgesehen. Dies muss über eine Sonderregelung finanziert werden. Es muss ein besonderer Rahmen geschaffen werden. Auf diese Weise entsteht ein Spannungsfeld zwischen den Möglichkeiten, die durch die LEVO gegeben sind und dem was für die Betreuung einer/eines besonders schwierigen KlientIn gebraucht wird. Die Anforderungen an die LEVO, die notwendig waren um einen Rahmen zu schaffen, der es ermöglichte eine als Beispiel angeführte Klientin aufzunehmen, überstieg die Möglichkeiten der LEVO. Hier musste die Institution das Ungleichgewicht ausbalancieren. Das Land ist durch die LEVO an bestimmte Vorgaben gebunden. 80% aller Leistungen sind durch die LEVO abgedeckt, 20% müssen über Sonderregelungen abgedeckt werden. Ist ein Sonderkonzept von Nöten und liegen die Leistungen dafür außerhalb der Norm, wird die Sonderregelung bewilligt. Voraussetzung dafür ist eine gut argumentierte Anfrage. Hier steht auch die Frage im Raum, ob für weniger hochkarätige Aufgaben ehrenamtliche MitarbeiterInnen herangezogen werden können. In diesem Zusammenhang wurde diskutiert, dass für eine gute Pädagogik das Erforschen der eigenen Anteile mit externen Möglichkeiten, die Entwicklung eines guten Settings und die Klärung der Frage, warum die Entwicklung der/des KlientIn diesen Verlauf genommen hat, sehr wichtig sind. Gewarnt wurde vor der Gefahr, dass durch den Begriff „Doppeldiagnosen“ eine neue Stigmatisierung passiert. Es wurde darauf hingewiesen, dass dieser Begriff aus dem Suchtbereich kommt. Es wurde die Frage diskutiert, wie man herausfindet, was die/der KlientIn bzw. die/der KundIn will und braucht und wie es umgesetzt werden kann. Wenn die/der KlientIn ein Kaffeehaus besuchen möchte, ist es für sie/ihn notwendig, sich anzupassen. Auf der anderen Seite steht ihr/sein Bedürfnis, sich ausleben zu dürfen. So entstehen, wie bei allen Menschen, Konflikte. Hier wurde diskutiert, ob ein anderes Setting besser wäre. Es wurde die Idee eingebracht, mit der/dem KlientIn auf Urlaub zu fahren, beispielsweise auf einen Bauernhof, wo sich ihre/seine Eigenheiten ändern und vielleicht sogar wegfallen. Es ist wichtig, die Möglichkeit zu haben, das auszuprobieren und die/den KlientIn beobachten zu können. Eine andere Möglichkeit wäre, die/den KlientIn zu fragen. Kann man herausfinden, was jemand möchte, der sich nicht mit Worten mitteilen kann? Kann man es mit unterstützter Kommunikation herausfinden? Es wurde vorgeschlagen, die Bedürfnisse mittels Fragebogen zu eruieren. Hier wurde auch die Bedeutung von Zeit und Beziehung diskutiert. Es wurde vorgeschlagen, in einer sehr engmaschigen Betreuung zu den Antworten zu gelangen. Hier wurde über eine 1:1 Betreuung diskutiert. Wird die Betreuung von einer Gruppenbetreuung auf Einzelbetreuung umgeändert, so könnten größere Erfolge erzielt werden und in weiterer Folge auch Verhaltensänderungen erreicht werden. Auch hier stellte sich wieder die Frage nach der Finanzierbarkeit. Betont wurde dass die Aufgabe lautet, Settings und nicht Strukturen zu schaffen. Es wurde die Frage aufgeworfen, ob jemand weiß, wie mit Menschen mit Doppeldiagnosen umgegangen werden soll. Betont wurde hier, dass individuelle Maßnahmen von großer Wichtigkeit sind. Im Weiteren stand die Frage im Raum, wo sich nun diese Menschen, die keiner will, aufhalten. Die Antwort lautete: Sonderkrankenanstalten, LSF, Pflegezentrum der BHB Kainbach, Alpha Nova, Lebenshilfe. Wenn eine Person aus allen Einrichtungen geworfen wird, schaltet sich der Behindertenanwalt ein und sucht nach einem geeigneten Platz. Diese Suche gestaltet sich äußerst schwierig. Es wären kleinere Settings von Nöten, die aber schwer zu finden sind. Adäquate Settings können nur schwer geschaffen werden, da es zu viele Leute gibt. Es scheint, dass sich die finanziellen Leistungen und der institutionelle Rahmen gegenseitig blockieren. Die Frage wurde aufgeworfen, was Institutionen davon abhält, Investitionen zu tätigen. Im Raum stand die Behauptung, dass niemand die Menschen, die keiner will, will. Wichtig sei die Klärung der Frage WAS ein Mensch, der als schwierig eingeschätzt wird, braucht, unabhängig davon, wen ihn als schwierig einschätzt. Es wurde gesagt, dass eine gute Argumentation wichtig ist, eine gute Darstellung des Problems und eine genaue Schilderung, warum das Personal das zur Verfügung steht, nicht ausreicht, um finanzielle Mittel zu beantragen. Dann wurde die Frage aufgeworfen, warum so wenig passiert, da sich doch alle Beteiligten so offensichtlich bemühen. Es wurde festgehalten, dass es ein Konzept braucht. Kann dieses Konzept mit den nötigen finanziellen Mitteln umgesetzt werden? Wird dieses Konzept finanziert? Löst mehr Personal das Problem? Welches Ziel wird erreicht bzw. was ist das Ziel? Ist es das Ziel, dass die/der KlientIn am Ende angepasst ist? Investitionen zahlen sich aus, da eine intensivere Betreuung auch mehr Möglichkeiten bietet. Ein Herunterbrechen einer Gruppenbetreuung auf Einzelbetreuung sei wichtig, um der/dem Klient/in die Möglichkeit zu geben, Reifung nachzuholen und ihre/seine sozialen Fähigkeiten zu verbessern. Wieder stand die Frage, worauf gewartet wird. Wartet das Land auf die Träger? Warten die Träger auf das Land? Wenn nun ein neues Konzept eingeführt wird, so dauert es eine Zeit lang, bis man beurteilen kann, ob es funktioniert. Können die KlientInnen die neue Situation mittragen? Können die MitarbeiterInnen mit der neuen Situation gut umgehen? Ist es für das Personal tragbar oder müssen Kündigungen befürchtet werden? An dieser Stelle beschrieben die ExpertInnen ihre Visionen, ihre Vorstellungen von einem guten Konzept. Welches Setting braucht es, damit Krisenintervention gelingen kann? So wurde eine stationäre Leistungsart mit einer 3:1 Betreuung vorgeschlagen. Gearbeitet werden sollte in einem multiprofessionellen Team. Dazu gibt es bereits ein Konzept, es ist jedoch unklar, ob es umgesetzt werden wird. Es wurde betont, das es wichtig ist, ein Konzept zu haben, das viel Raum für die KlientInnen vorsieht, um strukturelle Gewalt zu minimieren. Weiters sei eine Rund-um-die-Uhr Betreuung notwendig, mit einem wachenden Nachtdienst. Es müssen gute Rahmenbedingungen geschaffen werden, um Übergriffe zu minimieren. Das Beobachten der Bedürfnisse sollte möglich sein. Eine weitere Möglichkeit wäre das Einführen von Krisenzentren oder Krisenwohnungen. Auch hier existiert ein Konzept von alpha nova, das derzeit noch beim Land liegt. Auch das Konzept der Krisenwohnung sieht ein multiprofessionelles Team vor. Auf jeden Fall sollte verhindert werden, dass KlientInnen während einer Krise ins LSF eingeliefert werden. Oft haben KlientInnen ihre Kindheit dort verbracht und ein Aufenthalt im LSF könnte zu einer Retraumatisierung führen. Sie erhalten dort keine adäquate Behandlung. Eine Möglichkeit wäre eine Sozialtherapie, in der Menschen lernen, wie sie miteinander leben können. Es wurde gesagt, dass nichts Neues erfunden werden muss. Wichtig sind eine konsequente Haltung, die Bewältigung der Diskrepanz zwischen Führung und Einschränkung der Freiheit auf der einen Seite und Raum, Freiraum und Anpassungsleistung auf der anderen Seite. Hier seien die Rahmenbedingungen nicht durch die LEVO gedeckt, wodurch es immer noch über Sonderleistungen geregelt werden muss. Die Förderung der Individualität wurde als weiterer wichtiger Punkt angeführt. Die KlientInnen sollen so gut gefördert werden, dass sie in eigenen Wohnungen leben können. Hier wurde die Frage aufgeworfen, ob es möglich ist, schwierige Menschen mit gleichem Personalschlüssel in eigener Wohnung zu betreuen. Das Ziel sei auf jeden Fall herauszufinden, was die Leute brauchen und es ihnen dann anzubieten. Es gelte auf jeden Fall „mobil vor stationär, mobil wo möglich und stationär wo nötig“ Es wäre wünschenswert den Menschen die Möglichkeit zu geben, dort zu leben, wo sie herkommen. Auch hierbei müsste die Kostenfrage geklärt werden. Auf jeden Fall stehen die Bedürfnisse der/des KlientIn im Vordergrund. Diese zu Eruieren und Möglichkeiten der Umsetzung zu schaffen sind von großer Bedeutung. Es wurde auch festgehalten, dass es kein Patentrezept gibt. Es gilt immer ein „Sowohl-als-auch“ Prinzip. Weiters wurde festgehalten, dass es Personen gibt, die lange, länger oder auch immer viel Betreuung brauchen werden. Schlussworte: Am Schluss wurde der Wunsch nach dem Beginn eines Fachdiskurses laut. Gewünscht wurden Marker für gelingende Konzepte. Es wurde festgehalten, dass es scheinbar Probleme in der Kommunikation zwischen Beamten/Betriebsrat/Trägern etc. gibt und der Wunsch nach Behebung dieser Schwierigkeiten wurde geäußert. Ein weiterer Wunsch war die Entlassung der Personen aus der Psychiatrie, die dort nicht hingehören und die Vermeidung der Einweisung weiterer Personen. ExpertInnen: Melitta Fritz - Qualitätssicherung Land Steiermark Ludwig Niederhammer-Deutsch - Vertretungsnetzwerk Jürgen Amann - Lebenhsilfe GUV Franz Wurzinger - Wohnhaus Kalsdorf Kompetenzteam Moderation: Elisabeth Schnedlitz Protokoll: Barbara Aiglsperger